Donnerstag, 13. August 2009

Wo fängt Integrität an?

Eigentlich müsste ich schon längst unterwegs sein: Krankenversicherungsnachweis für die Immatrikulation an der FU besorgen. Aber dazu sah die Druckerschwärze der taz viel zu verlockend aus. Vielleicht hätte ich die Zeitung besser liegen lassen sollen. Dann könnte ich mir einen gedankenlosen Tag machen, die Welt schlecht oder gut - aber Hauptsache unwichtig - finden und seelenruhig am grünen Flussufer entlang spazieren. Aber nein, ich habe die Zeitung aufgeschlagen, gelesen und meinen Kopf mit Gedanken vollgepackt. Ob ich sie ordnen kann, frage ich mich. Welche Konsequenzen ziehe ich für mich daraus? Denn ich will endlich Konsequenzen für mein Handeln aus meinen Gedanken ziehen. Ich bin alt und unvernünftig genug, um der Welt unkoordiniert entgegen zu schreien, was mich an ihr stört.
In erster Instanz bin ich jedoch erstmal ein wenig verloren. Zwei Themen der heutigen taz haben mir zu Gewissensfragen verholfen, ohne die das Leben blumiger wäre: Der Iran und der Journalismus. Menschen, die mich kennen, werden sagen "Klar, was auch sonst. Ist schließlich ganz und gar ihr Ding." Richtig. Darum möchte ich, dass die resultierenden gesellschaftlichen Probleme was mit meinem Leben zu tun haben.
Iran:
Antifas in Deutschland haben gegen deutsche Firmen demonstriert, die nach wie vor Geschäfte mit dem Iran und dessen wahrhaft unrechtmäßigem Regime machen. Deutschland ist weltweit der wichtigste Handelspartner des Iran. Ein Fakt, der mich erstaunt, der mich unerwartet getroffen hat. Unsere Politiker verurteilen die Zustände im Land seit den Wahlen im Juni. Die EU verweigert Glückwünsche zu Ahmadinedschads Amtseinführung und muss mit Ansehen, wie ihre Bürger im Iran vor Gericht zu haarsträubenden Geständnissen getrieben werden. Und dennoch verdient sich unsere Wirtschaft weiterhin eine goldene Nase und lässt zu, dass die iranische Regierung mit Hilfe ihrer Mittel "einen der effektivsten Kontroll- und Zensurmechanismen" (taz S. 6) entwickelt. Wirtschaft und Politik sind da voneinander zu trennen könnte man meinen. Schließlich geht es hier nicht um staatliche Unternehmen. Aber dieses Argument ist so haltlos wie die Aussage, dass Ahmadinedschad seine Bevölkerung im Griff und stärkend im Rücken hat. Sollte nicht auch unsere Wirtschaft Konsequenzen ziehen und den Export von Waffen und Kommunikationsmitteln an den Iran und dessen Regierung stoppen? Oder können wir uns das nicht leisten? Wägen wir ab: Geld und Moral. Ja, richtig, in unserer Welt spielt das Geld die übergeordnete Rolle. Aber das könnten wir auch unmoralisch in Norwegen oder Spanien verdienen, Länder zu denen unsere Regierung kein so zerrüttetes Verhältnis pflegt. Länder, in denen wir nicht dazu beitragen, dass der Bevölkerung das Demonstrieren verboten und die Privatsphäre genommen wird. Firmen, die ein solches Regime unterstützen, sollten von uns nicht mehr unterstützt werden. Aber ab welchem Punkt stimmen wir, die Konsumenten und die, die Produzenten zu? Wann sagt jemand "Genug!"? Wie schlimm muss es sein, damit Geld unwichtiger wird als Integrität? Ich jedenfalls werde mir weder einen Siemensstaubsauger für mein Studentenwohnheimszimmer noch Kopfschmerztabletten von Bayer zulegen.
Journalismus:
Um zur Leichtathletik-WM zugelassen zu werden, müssen Journalisten einer Sicherheitsüberprüfung zustimmen, die meiner Meinung nach jegliches Recht auf Demokratie und Privatsphäre entbehrt. BKA, Verfassungsschutz und BND dürfen Daten einer Person an ein Privatunternehmen weitergeben?! Und auf dieser Grundlage darf man professionellen Journalisten eine Akkreditierung verweigern? Ein klarer A****tritt für die Pressefreiheit. Ich frage gar nicht erst, wie BND und Verfassungsschutz überhaupt darauf kommen, über Jahre einfache Studenten zu beobachten und jeden Schritt normaler Bürger zu beobachten, wer wann bei welchem Rockkonzert zu gegen war. Deutschland ist ein freies Land und nur die Stasi hat jemals ohne Grund Leute beschattet. Genau.
Die taz zieht hier Konsequenzen. Sie berichten nicht. Ein "Nein" zur Einschränkung der Pressefreiheit. Aber wo macht man weiter? Ist es integer, dennoch zu allen politischen Ereignissen zu erscheinen, obwohl da ähnliche Bandagen aufgezogen werden, nur weil Politik wichtiger ist? Muss man nicht gerade bei den wichtigen Dingen ganz genau aufpassen, welche Druckmittel man wem in die Hand gibt? Stimmen Journalisten bei etwas so wichtigem wie G8-Gipfeln einer solchen Sicherheitsüberprüfung zu, haben es die Politiker in der Hand, nach ihrem Gutdünken die Pressefreiheit einzschränken. Nach und nach. Zu unserer Sicherheit.
Sollte die taz also eine Woche lang ausschließlich Leerdrucke veröffentlichen, um zu zeigen, dass man nicht einverstanden ist? Und damit keine journalistisce Arbeit für die Leser mehr leisten können? Oder ist das zu dick aufgetragen?
Aber ist es nicht inkonsequent und heuchlerisch sich zwar an einem Sportereigniss so sehr aufzureiben, aber bei Politik ein Auge zu zu drücken, nur um berichten zu können, egal unter welchen Bedingungen? Damit die Auflage nicht schrumpft und die Menschen wenigstens irgendetwas erfahren?
Ist es korrekt, dass andere journalistische Institutionen das Machtspielchen der Überwachungsheinis einfach mitspielen und der taz vorhalten, kleinlich zu sein? Ein erster Schritt, sich bereit zu eklären, Zensur und Einschränkung zu ertragen. Wäre es integer genug, als zdf zu sagen: "Wir finden die Überprüfung auch nicht in Ordnung." und dann ein "Aber irgendwer muss ja berichten." hinten anzuhängen? Oder fängt Integrität erst dann an, wenn wir gemeinschaftlich auf die Straße gehen, um für Pressefreiheit zu demonstrieren und die Journalisten alle Tätigkeiten boykottieren, bis wieder jede Zeitung frei schreiben und recherchieren darf?
Wann werde ich später sagen können: "Bis hier hin und keinen Schritt weiter"? Oder muss ich einer solch überzogenen Überprüfung zustimmen, damit ich mein Geld als Journalist verdienen und meine Familie ernähren kann?
Wo bleibt mir und dem Rest der Welt Freiraum für Integrität? Und ab wann bin ich "integer genug" um in den Spiegel blicken zu können?
Verdammt. Ich muss los.

1 Kommentar:

  1. Wenn ich mich Recht entsinne, dürfen deutsche Kriegsmittel nur mit Lizenz der Regierung produziert und vertrieben werden, sodass in diesem Fall wahrscheinlich Wirtschaft und Politik gar nicht so sehr getrennt sind (unter diesem Gesichtspunkt ist es natürlich auch interessant, dass deutsche Kleinwaffen nach der AK-47 in den eher kriegerischen Regionen der Welt zu den beliebtesten zählen).

    Was die Kommunikationsmittel angeht, so weiß ich leider nicht, ob es nur welche für staatliche Apparate sind, die wir exportieren. Wenn nicht, hat das ja auch eigentlich was gutes, hat sich doch die Protestbewegung hauptsächlich über Mobiltelefone und Internet koordiniert.

    Was allerdings auch schade war, ist die Tatsache, dass in der deutschen Berichterstattung nicht wirklich geforscht wurde, ob denn die Wahl an sich unrechtmäßig war. Was mit den Protesten geschah, ist ja eine ganz andere Sache, aber ob sie überhaupt legitimiert waren, blieb, soweit ich das mitbekommen habe, offen.

    Und was das unmoralische Geldverdienen angeht, so müssten wir eigentlich alles selbst produzieren, da die meisten Konzerne Geschäfte mit Regierungen machen, und eigentlich alle Regierungen sind unmoralisch, wenn auch (noch) nicht so schlimm wie der Iran... Man schaue sich bspw. die europäische Asylpolitik an (adieu, Menschenrecht), die deutsche Meinungsfreiheitspolitik (adieu, Menschenrecht), die deutsche Kriegspolitik, etc. Solange wir dazu beitragen, dass uns hier die eigene Privatsphäre und das Recht zu demonstrieren genommen wird (nur noch nicht ganz so gewalttätig, da die Demonstranten noch nicht so energisch sind, man schaue sich ja nur Heiligendamm an) oder in anderen Ländern unschuldigen Menschen das Leben durch unsere Soldaten, ist es gar nicht so viel schlimmer, mit den bösen "Schurkenstaaten" Geschäfte zu machen.

    Und schon unter diesen Gesichtspunkten (die katastrophalen Folgen der Politik auf die Wohlstandsentwicklung in unseren Ländern, Einkommensverteilung, etc. mal außen vor gelassen) kann man sich natürlich fragen, wann die Leute in unserem Land aufhören, solche Regime Jahr für Jahr wieder zu unterstützen, wann sie sich sagen "Ist dieses Kreuz wirklich meine Integrität wert?", wann sie sagen "Genug ist genug!" und ihr Schicksal endlich wieder selbst in die Hand nehmen.

    AntwortenLöschen